Wettersturz an der Großen Zinne
Unser Drama vom 11. September 2003 - im November 2008 ergänzt von Dr. Michael Sandhoff
Ergänzt mit Bildern des Tages im Mai 2020 - direkt zu den Bildern
September 2003 liegt nun schon viele Jahre zurück. Damals waren wir mit Steffen Große bei unserem Versuch, die Große Zinne in den Dolomiten über den Normalweg zu ersteigen, in einen Wettersturz und damit in einen dramatischen Kampf am Berg geraten. Die Erinnerung sitzt noch immer tief!
Unser persönliches Drama in der Südwand der Großen Zinne
Am 11.09.2003 war ich gemeinsam mit meinem langjährigen Schul- und Lauffreund Steffen Große, den ich zu dieser Tour überredet/überzeugt hatte, auf dem Normalweg durch die Südwand an der Großen Zinne in den Sextener Dolomiten unterwegs. Die Wetterprognose war gut. Was dann aber geschah, lässt sich nur schwer in die richtigen Worte fassen.
Eigentlich soll sich meine Homepage durch sachliche Tourenberichte auszeichnen, die Interessierten einen guten Einblick in die Tour und Hinweise für eigene Unternehmen geben. In diesem Fall objektiv zu berichten fällt aber schwer. Aus diesem Grunde lest ihr im Folgenden den Bericht, den ich am Tag meiner Rückkehr an meinen Bergfreund Volker Roßberg gesendet habe:
"Grüßchen ... ich bin wieder in der Heimat gelandet und habe ein Bergerlebnis hinter mir, von dem ich gehofft hatte, dass es so nie vorkommt....
Donnerstag um 6 Uhr standen wir vor der Auronzo-Hütte, ein herrlicher Mond, klarer Himmel, knapp über Null Grad – was will das Herz mehr!!!
Schon bald haben wir in unserem Einstieg vom Vorjahr rumgebastelt und waren auch schon ca. 30 min in immer schwererem Gelände unterwegs, als zwei andere Bergsteiger von unten riefen, was wir denn eigentlich machen. Als wir vom Zinne-Normalweg sprachen, erklärten sie uns, dass wir völlig falsch seien, wir müssen ca. 150 m weiter hinauf direkt in die Scharte. Also wieder runter!
Gegen 8 Uhr hatten wir dann den richtigen Einstieg gefunden – gewaltig.
Allein die schräg aufwärts führende Rampe ist zwei Seillängen lang, dann geht es in der Rinne und nochmals zwei Seillängen zur ersten Scharte hinauf. Hier hatten wir das einzige große Problem: alle Markierungen sind abgeschliffen oder mit grauer Farbe übermalt. Ich habe den Weiterweg nicht gefunden. Rettung war hier ein Bergführer mit zwei Kunden, der uns an dieser Stelle überholt und uns so den Weg offenbart hat. Der Rest war dann mit etwas Geschick kein Problem – wir kamen zwar langsam, da Vollsicherung, aber gut voran. Gegen 12 Uhr hatte wir die vermeintliche Schlüsselstelle kurz vor dem Ringband hinter uns. Jetzt weiß ich auch, warum sich Nichtsachsen vor Kaminen fürchten – ein Hammer! Wir standen nur noch wenige Höhenmeter vom Gipfel entfernt in 2870m Höhe, da zogen völlig unerwartet Wolken vom Norden über die Gipfel. Kleinere Wölkchen vorher hatten wir nicht ernst genommen. Warum auch, waren ja so angesagt. Dann begann es leicht zu schneien – auch nicht schlimm. Ich habe Steffen noch getröstet, dass das eine größere Wolke sein wird und wir die paar Minuten aussitzen. Nur ca. 10 min später war aus dem leichten Schneefall ein Schneesturm geworden. Inzwischen kam von oben der Bergführer mit seinen Kunden herunter und meinte nur, dass wir uns so schnell wie möglich aus der Wand machen sollen, es sähe auf der anderen Seite furchtbar aus. Dieser Erklärung hätte es schon nicht mehr bedurft, denn inzwischen mussten wir alles anziehen, was warm hält, es war saukalt, Sturm tobte, wir verstanden unsere eigenen Worte kaum noch und die Sicht sank auf 10 bis 20 m. Wir hatten uns vorher immer schon unterhalten, wie wir diese Wand, an der es nur wenige Abseilstellen gibt, wieder runter kommen – jetzt standen wir vor einem Riesenproblem. Die Wand war praktisch zugeschneit, Ringe usw. waren nicht mehr zu sehen und was noch schlimmer war: alles war vereist, man konnte nur noch auf geraden Flächen oder dort, wo man das Eis entfernt hatte, stehen.
Was jetzt geschehen ist, kann ich nur mit wenigen Worten wiedergeben: Vom Kopf des Kamins konnten wir noch an einem Abseilring abseilen, dann waren wir auf uns gestellt. Während wir aufwärts immer 60m am Zwillingsseil ausgeklettert sind, sind wir jetzt an einem Strang in 30m-Schritten abgeseilt. Grund: Das Seil war derart vereist und steif, dass man es kaum abziehen konnte. Die volle Länge hätten wir eventuell nicht nutzen können. Wir hatten jetzt vier mal 30 m ins Ungewisse vor uns, dann konnten wir auf einen Ring hoffen, den wir beim Aufstieg gesehen hatten.
Glück im Unglück: auch der Bergführer war in unserer Situation und hat selbst Abseilpunkte gebaut. Seinen ersten haben wir auch gleich gefunden. Dann aber stand ich plötzlich im Nebel. Der Weiterweg war nur schleierhaft klar, denn wir wussten nicht genau, durch welche Rinne wir gekommen waren. (Dazu immer ununterbrochen Schneefall mit Orkanhöhen und Eiseskälte) Also seilte ich ins Ungewisse ab - und da war dann nichts mehr. Stand an einem Friend (!!!!) – der schien aber bombensicher. Dann Steffen hinterher. Eigentlich war diese Stelle zum Heulen, aber irgendwie bin ich eiskalt geblieben: Hammer und Haken raus, Dreipunktsicherung gelegt, Fusselschlinge eingebaut und dran abgeseilt. War zwar ein komisches Gefühl, aber was sollten wir machen. Hat wie Du siehst funktioniert! Dann waren wir in einem halbwegs geneigten Gelände und haben unter uns, etwa 15 bis 20 m tiefer ein Brett entdeckt, das aus der Wand ragt. Vorsichtig runtergeklettert, ging trotz Glätte halbwegs gut – und siehe da, unter dem Brett war eine Kette, also wieder abgeseilt. Inzwischen hat der Schneesturm halbwegs nachgelassen. Unsere Hosen waren klatschnass, Hände und Gesicht eiskalt, wir haben gezittert, dass ich es kaum beschreiben kann. Unter mir war dann endlich die dritte Scharte zu erkennen, aber es fehlte noch immer mindestens eine Abseile. Ich bin am Seilende (ohne Knoten, aus Angst, dass der sich verhängen könnte, denn das Seil ist wegen des Sturmes beim Werfen immer neben uns an die Wand geklatscht und musste praktisch beim Abseilen immer erst rübergezogen werden) hin und her gependelt, um einen weiteren Standplatz zu suchen – dann endlich ein rettender nagelneuer Ring! Jetzt wurde es einfacher, die rettende Scharte war in Sicht, wir konnten also nach sechs Abseilen die Steilwand verlassen – und die Sonne kam wieder hervor. Nach ca. zwei Stunden war das Inferno vorbei. Was auf dem weiteren Rückzug blieb, waren Schnee und vereiste Wand, an die man beim Abseilen nicht mal die Füße setzen konnte, ohne wegzurutschen. Aber es war endlich wieder erträglich und langsam kehrte auch die Körpertemperatur zurück. Die Luft allerdings blieb eiskalt; nach elf Abseilen erreichten wir nach 4 Stunden und 30 min Rückzug um 16.30 Uhr endlich den Wandfuß in der Scharte.
An der Kapelle sind wir uns erst mal in die Arme gefallen und haben geheult wie die Schlosshunde. Die Nerven lagen einfach blank.
Wir waren in einen für alle unerwarteten Wettersturz geraten, das gesamte Wetterbild war zusammen gebrochen und eine Kaltfront war von Norden über den Alpenhauptkamm eingezogen.
Selbst die Bergrettungsmänner, mit denen wir später an der Drei-Zinnen-Hütte gesprochen haben, waren wegen des Wetters ratlos und meinten, dass so etwas heutzutage kaum noch unangekündigt vorkommt. (Freitag, wo es eigentlich noch besser sein sollte, war es dann logischerweise noch besch...)
Tragik am Rande: vermutlich die beiden Bergsteiger, die uns früh aus dem falschen Einstieg geholt hatten, waren an der Großen Zinne in die Dibona-Kante (IV) eingestiegen und in gleicher Höhe wie wir, nur halt nicht in der noch halbwegs schützenden Südwand sondern an der Nordostkante, überrascht worden. Wir wissen bis heute nicht warum, vermutlich waren sie nur auf gutes Wetter eingerichtet und ohne Rückzugsmaterial gestiegen, aber es hat sie arg erwischt. Ihre Hilferufe haben wir schon im Abstieg immer gehört, waren aber noch zu sehr mit uns beschäftigt. Als es dann besser für uns war, haben wir versucht Kontakt aufzunehmen, aber wegen des Sturmes haben die uns wohl nicht gehört, nicht mal meine Signalpfeife. Unten angekommen haben Bergwachtler schon die Wand mit Fernrohr abgesucht, wir haben kurz unsere Erkenntnisse berichtet, und noch ehe wir am Paternsattel waren, schwirrte ein Hubschrauber herum und die Bergrettung machte sich für den Einsteg fertig.
An der Drei-Zinnen-Hütte stand dann der Hubi und erst dort erfuhren wir, wo die beiden sind – mit dem Fernrohr erkannten wir sie hoch oben neben der Kante hockend. Das Dramatische: es war schon 18.30 Uhr, der Hubi konnte sie wegen des starken Windes nicht mehr raus holen.
Wir mussten dann absteigen, um noch bei Licht das Tal zu erreichen und wissen bis heute nicht, was aus den armen Teufeln geworden ist.
Der Schock saß und sitzt tief und nervlich bin ich noch immer ausreichend aufgekratzt. Aber die Erfahrung war auch goldwert. Meine theoretischen Kenntnisse, meine Ausrüstung und meine Beherrschtheit in dieser fatalen Notsituation, aber auch Steffens absolute Ruhe und sein grenzenloses Vertrauen in die Richtigkeit dessen, was ich da tue und anweise, waren ausreichend um in dieser Situation zurecht zu kommen..."
Die nachfolgenden Bilder sind 2020 dank einer neuen Möglichkeit, alte Fotonegative zu scannen, als eine chronologische Darstelllung der Ereignisse eingefügt worden. Einige Bilder sind zwar Doppel zu den Bildern oben, der ursprüngliche Bericht soll jedoch unverändert weiterhin seinen vollständigen Bestand haben:
Leidensgefährten an anderem Fels - und das begehrte Wissen um zwei Bergsteiger aus der Dibonakante
Das es an diesem Tage viele Bergsteiger in dieser Region unverhofft getroffen hatte, wussten wir bereits aus zahlreichen Gesprächen. Nun hat mich eine Zuschrift von Dr. Michael Sandhoff erreicht, die ich mit seiner Genehmigung nachfolgend veröffentliche:
"Nur wenige Kilometer weiter - Kleiner Falzaregoturm
An diesem Tage, zwei Jahre nach dem Attentat auf die Twin Towers, waren wir am Falzaregopass unterwegs auf den Kleinen Falzaregoturm auf der Route Südkante. Nach dem schönen Wetter am Vortag in der Cadini-Gruppe (Gobbo und Baracaro) , sind wir bei bestem Wetter früh aufgebrochen aus unserem Quartier im Pragser Tal. Um 09:00 waren wir bereits auf dem alten Militärpfad in Richtung Einstieg unterwegs, unser Auto stand wie immer auf dem Parkplatz beim Ristorante kurz vor der Passhöhe.
Es war zwar kühl, das aber bei strahlendem Himmel (siehe Bild 1). Aus der Route heraus habe ich dann einen Schnappschuss rüber in Richtung Cinque Torri gemacht, da war es kurz nach halb zwölf (Siehe Bild 2). Der Himmel hatte sich schon bezogen, aber Fönwolken habe ich nicht erkennen können.
Das änderte sich aber dann ganz schnell. In der vierten Seillänge fing es zu schneien an und wir haben uns beeilt, auf den Gipfel zu kommen. Die Abseilfahrt ging dann noch relativ gut, aber der weitere Abstieg durch die Geröllfelder runter auf den Militärpfad war nicht ohne: Ein Weg war nicht erkennbar, die Steine waren durch den Schnee sehr rutschig und wir sind einige Male zunächst „falsch abgebogen“.
Um 14:00 standen wir dann glücklich aber etwas fröstelnd wieder auf dem Parkplatz. Im Vergleich zum Anblick von 09:00 zeigte sich der kleine Falzaregoturm jetzt etwas anders (Siehe Bild 3) Auch der Hexenstein gegenüber stand noch in weiß da (Siehe Bild 4). Besonders interessant war der Blick auf Cinque Torri, wo der Sturm in den höheren Lagen noch gut an der Wolkenbildung zu erkennen war (Siehe Bild 5).
Wir waren an dem Tage zu dritt unterwegs, meine Frau Petra, Wolfgang Stauder (verstorben am 26.09.2004 an der Kl. Zinne) und ich."
Übrigens kam einige Tage später eine weitere Mail von Dr. Michael Sandhoff, mit der endlich eine der offenen Fragen aus unserem "Abenteuer" beantwortet worden ist ...
Zuschrift von Dr. Michael Sandhoff, November 2008:
"... hier noch ein interessanter Einwurf meiner Frau, an den ich mich mich jetzt auch wieder erinnere:
In Deinem Bericht über den 11/09/03 hast Du zwei Bergsteiger erwähnt , die Euch zunächst am Morgen aus der falschen Route geholt haben und die dann noch die Dibonakante gegangen sind. Der Wind, so hattest Du berichtet, hat dann die Rettung mit dem Hubi am Abend vereitelt. Du hast dann zum Abschluss Deiner Schilderungen noch erwähnt, das Du bis heute nicht weißt, was aus den beiden geworden ist.
Diese Unklarheit beseitigen wir hiermit:
Noch am Abend ist der von mir schon erwähnte Erwin (Erwin Steiner aus Prags, erwähnt in einem anderen, hier nicht veröffentlichten Zusammenhang - Anm. d. Webmasters) auf die Gr. Zinne gestiegen und hat die beiden noch in der Nacht über den Normalweg ins Tal geholt, nachdem er bereits am Tage eine Tagesklettertour mit Gästen aus Bad Doberan in den Knochen hatte. Er war dann um 5:00 in der Früh im Bett und wir trafen ihn am nächsten Morgen in Toblach, wo er uns die Geschichte erzählte.
Die beiden „armen Teufel“ waren wohl kurz vor dem Exitus und hätten den nächsten Morgen nicht mehr erlebt. Das nennt man wohl „Schwein gehabt“.
Die Welt ist klein …"
Herzlichen Dank für diesen Beitrag und viele Grüße nach Langenhagen!